Interview „Was wir heute erleben, ist erst der Anfang“ 19.09.2018

junge Frau mit Smartphone

Nikida - istock.com

Das Theodor-Schäfer-Berufsbildungswerk in Husum bereitet Jugendliche mit körperlichen und psychischen Behinderungen auf das Arbeitsleben vor. Ein Gespräch mit dem Leiter Hans-Jürgen Vollrath über die neuen Anforderungen der Arbeitswelt 4.0 für sein BBW.

Herr Vollrath, ist die Digitalisierung ein Thema im BBW Husum?

Natürlich. In einer Einrichtung wie unserer, die junge Menschen mit Handicap für die Arbeitswelt ausbildet, muss der digitale Aspekt in allen Facetten mit bedacht werden. Und zwar nicht nur in IT-, Elektro- oder Medienberufen, sondern auch in Bezug auf Berufsfelder, von denen man im ersten Moment vielleicht denkt: Was soll das denn mit Digitalisierung zu tun haben?

Können Sie ein Beispiel nennen?

Die Ausbildung im Bereich Ernährung und Hauswirtschaft. Dort sind Digitalisierung und Automatisierung so weit fortgeschritten, dass Ausbildungsinhalte von vor fünf Jahren nur noch wenig mit der heutigen Realität zu tun haben. Wir planen aktuell eine neue Großküche und müssen dabei völlig neue Produktionsabläufe berücksichtigen. Aber das ist nur ein Beispiel von vielen. Grundsätzlich gibt es keinen Bereich, in dem technologische Entwicklungen nicht in einem atemberaubenden Tempo stattfinden.

Sie brauchen also nur neue Technik und alles läuft bestens?

Nein, eine wirkungsvolle Modernisierung muss weit über neue Hardware und Maschinen hinausgehen. Dabei ist die kostspieligere, aufwändigere und schwierigere Aufgabe die Investition in die Köpfe unserer Mitarbeitenden. Schon das Identifizieren geeigneter Fortbildungen, die tatsächlich zielführend sind und in die digitalisierte Welt hineinhelfen, ist ein immenser Aufwand. Und erst, wenn das geschafft ist, beginnt ja die eigentliche Arbeit, für die wir viel Zeit, Energie und finanzielle Mittel aufwenden müssen.

Wie ist der Altersschnitt Ihrer Mitarbeitenden?

Also, mir kommen die alle sehr jung vor. Im Ernst: Unser Altersschnitt liegt bei rund 46 Jahren. Das ist leicht über dem Durchschnitt. Einerseits sind dadurch vielleicht bei neuen digitalen Themen nicht alle sofort hundertprozentig im Bilde, andererseits verfügt man mit langjähriger Berufserfahrung im Normalfall auch über eine hohe Lösungskompetenz. Unabhängig davon nutzen wir für einen zeitgemäßen Zugang zu allen Themen und Prozessen verstärkt das Know-how der jüngeren Mitarbeiter.

Wie organisiert das BBW Husum die Modernisierung seiner Angebote?

Unsere Ausbilder versuchen stetig ihre Angebote den veränderten Berufsbildern anzupassen. In der Tischlerei oder in der Gärtnerei herrschen unterschiedliche Voraussetzungen, als in der IT oder Elektrotechnik. Trotz der Unterschiede werden alle Berufe von der Digitalisierung beeinflusst und die Mitarbeiter setzen sich intensiv damit auseinander. Dazu ist ein regelmäßiger Austausch nötig.

In welcher Form?

Wir veranstalten regelmäßig interdisziplinäre Meetings und Workshops. Zum Beispiel organisieren wir „Campus Tage“, an denen wir uns fast ausschließlich gemeinsam mit externen Experten mit digitalen Medien befassen und über die Zukunft unseres BBW beraten. Dazu gehört es, dass wir uns ganz grundsätzliche Fragen zu unserem Angebot stellen.

Welche zum Beispiel?

Zum Beispiel auf die Methoden unserer Ausbildung: Welche Prozesse sollten unsere Auszubildenden überhaupt noch lernen? Wie bringen wir ihnen diese bei? Brauchen wir dazu neue Medien? Sollten wir mehr mit Datenbrillen und virtueller Realität arbeiten? Müssen wir grundsätzlich neue Berufe entwickeln und uns von alten Berufen trennen? Da müssen wir sehr genau analysieren und abwägen. Schließlich soll das, was wir unseren Auszubildenden heute vermitteln, nicht schon veraltet sein, wenn sie ins Berufsleben starten.

Wie gehen Sie dabei vor?

Zu unseren Aufgaben gehört es, neue Märkte frühzeitig zu erkennen und dabei Nischen zu finden, in denen sich unsere Auszubildenden später gut behaupten. In der Gastronomie können Sie in der Kochausbildung monatelang Tomaten-Röschen schnitzen, aber in absehbarer Zeit wird nur noch in der Sternegastronomie von Hand gekocht, weil der nötige Zeit- und Personaleinsatz nur noch dort wirtschaftlich darstellbar ist. Wir müssen uns allerdings daran orientieren, wo die großen Arbeitsmärkte für unsere jungen Leute sind.

Wie sehen Sie die Erfolgsaussichten Ihrer Auszubildenden auf dem Arbeitsmarkt?

Was das angeht, betrachte ich die aktuelle Entwicklung mit großer Sorge. Viele unserer Auszubildenden leben nicht nur mit körperlichen Handicaps, sondern auch mit Lerneinschränkungen oder sie haben Probleme, sich in unterschiedlichen Milieus souverän zu bewegen. Unter diesen Voraussetzungen ist es schwer, auf einem Arbeitsmarkt zu bestehen, der dem Einzelnen immer mehr abverlangt und dessen Veränderungsprozesse immer schneller voranschreiten.

Können Sie Ihre Auszubildenden inhaltlich darauf vorbereiten?

Ja, indem wir ihnen mit auf den Weg geben, Veränderungen nicht als Bedrohung wahrzunehmen. Veränderungen sind vielmehr eine positive Herausforderung, der sie sich mit Freude stellen sollen.

Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung der Arbeitswelt auf die Berufsbildungswerke?

Den Berufsbildungswerken steht im Zusammenhang mit der Digitalisierung ein erheblicher Wandel bevor – was die Angebote und die Anforderungen an die Qualifikation der Mitarbeitenden angeht. Möglicherweise haben wir in einigen Jahren nicht mehr rein stationäre, sondern zunehmend ambulante oder teilstationäre Angebote, bei denen wir deutlich enger mit regionalen Betrieben zusammenarbeiten und die jungen Menschen über einen deutlich längeren Zeitraum in den Betrieben qualifiziert werden. Ich glaube, was wir heute unter dem Stichwort Digitalisierung erleben, ist erst der Anfang einer größeren Entwicklung.

Ist das BBW Husum ausreichend darauf vorbereitet?

Das denke ich schon. Viele unserer Ausbilderinnen und Ausbilder sind Mitglied der Prüfungsausschüsse der IHK und müssen schon deshalb zwangsläufig up to date sein. Wir erleben es eher, dass sich kleine und mittlere Betriebe im handwerklichen Bereich mit dieser Entwicklung viel schwerer tun. Wir bieten zum Beispiel Qualifizierungsbausteine an, in denen wir deren Auszubildende im TSBW an unserer modernen Technik schulen. Nicht alle Betriebe können ständig in moderne Technologie investieren.

Investieren Sie in neue Technologien?

Zwangsläufig. Denn wenn wir alle, die bei uns eine Ausbildung absolvieren, als Kunden sehen, müssen wir uns auch an ihren Bedürfnissen orientieren. Dazu ein Beispiel: Funktionierendes WLAN hat eine riesige Bedeutung. Deshalb müssen wir auf unserem Gelände ein leitungsfähiges Netz zur Verfügung stellen. Wenn in der Mittagspause alle zeitgleich surfen, mailen oder WhatsApp, Facebook und Instagram nutzen, muss es bis zu 1.000 zeitgleiche Zugriffe in angemessener Geschwindigkeit verarbeiten können. Das ist eine echte technische Herausforderung. Aber wenn das nicht funktioniert, kommen sich die Menschen hier vor wie im Mittelalter. Unsere Auszubildenden sind unsere Kunden und dann müssen wir uns als Dienstleister entsprechend anpassen. Wenn uns das nicht gelingt,  gehen die jungen Menschen eben woanders hin.